Kassel (kobinet)
Birgit Schopmans hat am 1. Januar 1992 als Peer Counselorin beim Kasseler
Verein zur Förderung der Autonomie Behinderter (fab) begonnen. Dass die
blinde Beraterin 30 Jahre später immer noch beim selben Verein arbeitet
und im Laufe der Zeit vielen Menschen mit ganz unterschiedlichen Behinderungen
Türen auf dem Weg zu einem selbstbestimmteren Leben geöffnet und
sie unterstützt hat, das ist nach Ansicht des NETZWERK ARTIKEL 3 eine
gute Nachricht. Im Rahmen des von der Aktion Mensch geförderten Projektes
"Gute Nachrichten zur Inklusion“ hat dessen Projektkoordinator
Ottmar Miles-Paul das nunmehr 30jährige Wirken von Birgit Schopmans im
Sinne des Peer Counseling nachgezeichnet.
Als Birgit Schopmans am 2. Januar 1992 ihre erste Stelle nach Abschluss ihres
Sozialwesenstudiums im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme antrat,
hätte weder sie noch die anderen im Verein zur Förderung der Autonomie
Behinderter (fab) Aktiven geahnt, dass dieses Beschäftigungsverhältnis
über 30 Jahre lang bestehen würde. Damals in der Anfangszeit der
Zentren für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen hangelten sich
die Beschäftigten mit ganz unterschiedlichen Behinderungen oft von einem
Projekt zum anderen und die damaligen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen waren
auf ein bis maximal zwei Jahre befristet. So begann Birgit Schopmans ihren
ersten bezahlten Job in der Selbstbestimmt Leben Bewegung zwar mit großen
Idealen, aber mit unklaren Zukunftsperspektiven. Wichtig war ihr damals aber
schon die Beratung von behinderten für behinderte Menschen - das Peer
Counseling -, dessen Idee und Grundsätze damals aus den USA nach Deutschland
herübergeschwappt waren.
Bereits bei ihrem Engagement in der Interessenvertretung behinderter Studierender
an der Gesamthochschule Kassel, wo sie Sozialwesen studiert hatte, spielte
die gegenseitige Beratung und Unterstützung behinderter Menschen eine
zentrale Rolle. Damals war es kaum üblich, dass behinderte Menschen auf
selbst behinderte Berater*innen trafen, die sie auf ihrem Weg im Sinne eines
selbstbestimmteren Lebens unterstützen. Oftmals wurde Anpassung an die
nichtbehinderte Gesellschaft gepredigt und Schulungen zu einem selbstbewussteren
Auftreten und Umgang mit den alltäglichen Behinderungen waren Mangelware
und kaum bekannt. All das wollte Birgit Schopmans mit ihrer Tätigkeit
in der Beratung des fab ändern und führte beispielsweise Gesprächsgruppen
von behinderten für behinderte Menschen durch. Mittels Rollenspielen
und einem offenen unterstützenden Austausch konnten dabei eine ganze
Reihe neuer Wege beschritten werden. Auch Birgit Schopmans machte sich auf
zu neuen Ufern und übernahm dann die Leitung des Hessischen Koordinationsbüros
behinderter Frauen, das beim fab in Kassel angesiedelt und maßgeblich
von ihr aufgebaut und geprägt wurde. Auch hierbei ging es neben der politischen
Interessenvertretung um die gegenseitige Unterstützung behinderter Frauen.
Nach der Geburt ihrer Tochter und einer Reihe von Initiativen, die vonseiten
des Koordinationsbüros durchgeführt wurden, zog es Birgit Schopmans
jedoch wieder zurück in die Beratungsstelle des Vereins. Im Rahmen der
allgemeinen Beratung im Sinne offener Hilfen beriet Birgit Schopmans in den
Folgejahren viele behinderte Menschen in Kassel und weit über die Grenzen
Kassels hinaus. Sei es die Ablösung aus dem Elternhaus, Anträge
für Assistenz, Hilfsmittel etc. oder die Suche nach beruflichen Möglichkeiten,
viele Türen konnten in den letzten Jahrzehnten geöffnet werden.
Besonders wichtig sind ihr auch heute noch die vielen Freizeitaktivitäten
des Vereins. Waren diese in den Anfangszeiten der Selbstbestimmt Leben Bewegung
in Kassel eher verpönt, weil diese von anderen Vereinen meist paternalistisch
organisiert waren und es meist nur beim Kaffeetrinken blieb, ist Birgit Schopmans
dabei das Empowerment besonders wichtig. Im Kasseler Verein zur Förderung
der Autonomie Behinderter (fab) spielt das ehren- und hauptamtliche Engagement
behinderter Menschen daher eine wichtige Rolle – und vor allem der Austausch
darüber, wie mehr Selbstbestimmung und Inklusion gelebt werden kann.
So ist Birgit Schopmans keine Beraterin, die nur in ihrem Büro sitzt.
Sie organisiert und koordiniert viele Aktivitäten, macht eine engagierte
Öffentlichkeitsarbeit und ermuntert immer wieder Menschen mit ganz unterschiedlichen
Behinderungen, sich einzubringen und ihr Leben selbstbestimmter zu gestalten.
Während der letzten 30 Jahre konnte Birgit Schopmans durch ihr haupt-
und ehrenamtliches Engagement hunderte von behinderten Menschen erleben, die
mittlerweile mit Assistenz und Unterstützung in ihrer eigenen Wohnung
leben, am Leben in der Stadt teilnehmen und auch Jobs gefunden haben. Früher
waren dies meist Ausnahmen, denn oft blieb neben dem Leben bei den Eltern
meist nur eine Einrichtung für behinderte Menschen als Alternative für
diejenigen, die viel Assistenz brauchen. Der Assistenzdienst des fab, die
Beratung zum Unterstützten Wohnen und viele andere Angebote in der Stadt,
die in den letzten 30 Jahren entstanden sind, bieten nun ganz andere Möglichkeiten.
Dabei weiß Birgit Schopmans aber nur zu gut, dass es eine gute Beratung
braucht, denn oft braucht es Wissen und Durchsetzungskraft, um Anträge
zu stellen und auch Widersprüche einzulegen, wenn diese abgelehnt werden.
Die aus dem Niederrheinischen stammende Sozialarbeiterin blickt dabei zuversichtlich
in die Zukunft, denn mittlerweile gibt es zumindest in Kassel viele Rollenvorbilder,
die anderen behinderten Menschen vorleben bzw. zeigen können, wie man
trotz Einschränkungen und Unterstützungsbedarf selbstbestimmter
leben kann. Und auch beim Abbau von Barrieren wird Birgit Schopmans nicht
locker lassen, denn auch da gibt es nicht nur in Kassel noch sehr viel zu
tun. Gefreut hat sie sich 2021 als die Kasseler Stadtverordnetenversammlung
nach einer Aktion des fab und anderer Behindertenorganisationen beschlossen
hat, die bisher grauen und schlecht zu sehenden Poller zukünftig farbkontrastiert
zu gestalten. Denn auch an solchen vermeintlich kleinen Erfolgen kann sich
die selbst blinde Sozialarbeiterin erfreuen, weil ihr die Selbstvertretung
behinderter Menschen sehr am Herzen liegt. Und bis zur Rente hat die nun 57Jährige
ja noch Zeit, um einiges mehr anzustubsen in Richtung selbstbestimmtes Leben
behinderter Menschen.
kobinet-nachrichten, 03. Januar 2022