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Grafik: Presse Hessen braucht ein Antidiskriminierungsgesetz

Frankfurt (kobinet) Die Bildungsstätte Anne Frank fordert gemeinsam mit zahlreichen zivilgesellschaftlichen Partnerorganisationen ein Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) für Hessen. Die Prüfung eines entsprechenden Gesetzes ist im Koalitionsvertrag der schwarz-grünen Landesregierung vorgesehen. Vorbild könnte das im Juni in Kraft getretene LADG Berlin sein.

Betroffenen würde ein solches Gesetz die Chance auf Schadensersatz und Entschädigung auch in solchen Fällen ermöglichen, die durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nicht abgedeckt sind – etwa bei Diskriminierung durch Behörden, Schulen oder die Polizei, heißt es in einer Presseinformation verschiedener Verbände. "Unser Beratungsteam erhält immer wieder Anfragen von Menschen, die in der Schule, auf Behörden, durch die Polizei oder Justiz Diskriminierung erlebt haben. Ihre Erfahrungen und das daraus leider oft erwachsende Misstrauen in staatliche Institutionen spiegelt sich auch in den breiten Protesten gegen polizeilichen Rassismus, die wir in den vergangenen Monaten erlebt haben. Es braucht dringend rechtliche Möglichkeiten, sich gegen diese institutionellen Formen der Diskriminierung zur Wehr zu setzen und somit den Lebensrealitäten der Betroffenen Rechnung zu tragen“, erläutert Dr. Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, die die Landesantidiskriminierungsberatung des ADiBe-Netzwerks Hessen koordiniert. "Ein hessisches Landesantidiskriminierungsgesetz würde dazu beitragen, in unserem Bundesland eine Kultur des diskriminierungsfreien Verwaltungshandelns zu etablieren, die mittelfristig helfen kann, das Vertrauen in staatliches Handeln zu stärken.“
Aktuell erleben die im ADiBe-Netzwerk Hessen zusammengeschlossenen zivilgesellschaftlichen Organisationen immer wieder, dass sie Beratungssuchenden mangels rechtlicher Instrumente nur unzureichend helfen können. Dazu sagt Birgit Schopmans vom Verein zur Förderung der Autonomie Behinderter - fab e.V. in Kassel: "In der Beratung berichten behinderte Menschen immer wieder, dass sie Probleme mit dem barrierefreien Zugang zu Verwaltungen und Bildungseinrichtungen haben. Ein Beispiel für einen eingeschränkten Zugang ist etwa, wenn einer blinden Person die Mitnahme des Führhundes verwehrt wird.“ Auch Havva Deniz vom in Frankfurt und Mainz ansässigen Verein RAHMA – Muslimisches Zentrum für Mädchen, Frauen und Familie e.V., der u.a. in Fällen von antimuslimischem Rassismus berät, spricht sich deutlich für ein Landesantidiskriminierungsgesetz aus: "Die Rechte der von Diskriminierung Betroffenen werden mit dem AGG bekanntlich nicht ausreichend und nicht umfassend geschützt. Gerade die strukturelle Diskriminierung durch öffentliche Stellen, etwa von kopftuchtragenden Muslimas oder von als muslimisch markierten Menschen, kann nur mit einem Landesantidiskriminierungsgesetz sichtbar gemacht und abgebaut werden. Auch das Verbandsklagerecht ist dringend notwendig, damit die institutionelle und strukturelle Diskriminierung durch Klagen der entsprechenden Fachstellen gerichtlich untersagt werden kann.“

Der Antidiskriminierungsverband Deutschland (ADVD) als maßgeblicher Initiator des LADG in Berlin bezieht auch klare Stellung für den Diskriminierungsschutz in Hessen. Hierzu sagt die Geschäftsführerin Eva Andrades: "Wer Diskriminierungsschutz ernst nimmt, kommt um die Schaffung von Landesantidiskriminierungsgesetzen nicht herum. Die bestehenden Regelungen reichen nicht aus, damit Betroffene gegen Diskriminierung durch die Verwaltung vorgehen können." Der ADVD, RAHMA e.V., fab e.V. und zahlreiche weitere Beratungsstellen und zivilgesellschaftliche Akteur*innen unterstützen deshalb die Forderung der Bildungsstätte Anne Frank nach einem LADG in Hessen, das den Bedürfnissen von Diskriminierung betroffener Menschen Rechnung tragen würde.

Welche konkreten Verbesserungen bringt ein LADG für Betroffene?

Ein hessisches Landesantidiskriminierungsgesetz würde die im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verankerten Diskriminierungsmerkmale erweitern und eine längst fällige Angleichung an europarechtliche Vorgaben vornehmen. Als Vorbild könnte das am 21. Juni 2020 in Kraft getretene LADG Berlin dienen, das für sämtliches Handeln aller Stellen des Landes gilt – von Schulen, über Ämter und Behörden, Verwaltungsstellen bis hin zur Justiz. Betroffenen Menschen soll so größerer Schutz vor Diskriminierung aufgrund rassistischer Zuschreibungen, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion und Weltanschauung, einer Behinderung, einer chronischen Erkrankung, des Lebensalters, der Sprache, der sexuellen und geschlechtlichen Identität, sowie des sozialen Status geboten werden. Konkret müsste ein hessisches Gesetz nach Ansicht der Verbände folgende Punkte gewährleisten:

Den Betroffenen wird durch eine (im Vergleich zum AGG) verlängerte Klagefrist auf ein Jahr, sowie die Beweislasterleichterung im Falle glaubhaft gemachter Diskriminierungen eine geschützte und weitgehend rechtsklare Position zugesichert

Betroffene Menschen erhalten die Möglichkeit, auch in Bereichen, die das AGG nicht schützt, auf Schadensersatz und Entschädigung zu klagen

Durch ein Verbandsklagerecht werden die Betroffenen(-gruppen) zusätzlich gestärkt und wichtige Instrumentarien strategischer Prozessführung möglich gemacht. Dies wäre eine wichtige und notwendige Erweiterung des Diskriminierungsschutzes, um weitreichende Signale an Politik und Gesellschaft senden zu können.

Hintergrund

Der Gesetzestext des Landesantidiskriminierungsgesetzes Berlin im Wortlaut, sowie ergänzende Erläuterungen und Materialien finden sich auf der Website der Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung unter https://www.berlin.de/sen/lads/recht/ladg/materialien/

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) lässt sich nachlesen auf den Seiten der Antidiskriminierungsstelle des Bundes unter
https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikatio nen/AGG/agg_gleichbehandlungsgesetz.pdf?__blob=publicationFile


kobinet-nachrichten, 03. November 2020