Corona könnte für diejenigen, die eine Behinderung haben,
besonders gefährlich werden. Wie gehen sie und ihre Helfer damit um?
Wir haben beim Verein fab nachgefragt.
Kassel - Dennis Falk hat schon einiges durchgemacht. 2014 ist er in einem
Taxi fast erstickt. Wäre sein Bruder nicht zufällig in der Nähe
gewesen, wäre er gestorben. Er reanimierte Falk.
Jetzt kommt Corona. Wenn der 25-Jährige sich infiziert, ist die Wahrscheinlichkeit
hoch, dass die Krankheit einen sehr schweren Verlauf nimmt. Der Lohfeldener
leidet unter spinaler Muskelatrophie. Durch die fortschreitende Krankheit
werden Nervenzellen beschädigt, die die Muskelbewegungen steuern.
Falk sitzt im Rollstuhl, ist rund um die Uhr auf Hilfe angewiesen: beim Waschen,
Putzen und auch beim Essen. Vor allem aber beim Abhusten. Seine Lunge ist
durch mehrere Entzündungen anfällig und die Muskulatur geschwächt.
Er kann Schleim nicht herausbefördern, was ihm im Taxi fast zum Verhängnis
geworden wäre. Deswegen ist immer jemand an seiner Seite.
Seit dem Vorfall kümmern sich neun Mitarbeiter des Vereins zur Förderung
der Autonomie Behinderter (fab) um ihn – rund um die Uhr, damit er ein
möglichst selbstbestimmtes Leben führen kann. In seinen eigenen
vier Wänden, mit einem festen Job als technischer Produktdesigner.
Doch all das wird gerade auf die Probe gestellt: „Wir müssen sowieso
sehr auf Dennis’ Gesundheit achten, weil seine Abwehr nicht gut ist“,
sagt Felix Margraf, einer von Falks Assistenten. „Das ist jetzt durch
Corona noch viel stärker der Fall.“
Das große Problem: Dem Verein, für den rund 600 Menschen arbeiten,
fehlt die Schutzausrüstung. „Eigentlich dürften unsere Mitarbeiter
nur in voller Vermummung zu den Menschen gehen, die ein geschwächtes
Immunsystem haben“, sagt die leitende Pflegefachkraft Frieder Nebe.
Das gelte vor allem für 25 Kunden – so heißen die Hilfsbedürftigen,
die rund um die Uhr Betreuung benötigen. „Für die 250 Assistenten,
die diese 25 Kunden betreuen, ist kaum Schutzmaterial da.“ Mundschutzmasken,
Desinfektionsmittel, Kittel – alles war gar nicht oder nur noch in ganz
geringen Mengen zu bekommen.
„Es ist klar, dass Krankenhäuser und Pflegedienste da gerade Vorrang
haben“, sagt Georg Riester, Leiter des Assistenzdienstes. Er wolle auch
niemandem einen Vorwurf machen. Alle seien mit der Situation überfordert.
„Jedoch sind Assistenzdienste wie unserer nicht auf dem Radar.“
Vielen sei nicht bewusst, was Vereine wie fab machten und dass sie die Schutzausrüstung
dringend bräuchten. Das zeigt sich auch im Assistenzalltag von Felix
Margraf und Dennis Falk: Um eine Ansteckung zu verhindern, fahre Margraf mit
dem Fahrrad von der Kasseler Nordstadt nach Lohfelden. Er desinfiziere sich
noch häufiger die Hände als ohnehin schon und putze regelmäßig
die Oberflächen in den Räumen. „Wenn es möglich ist,
halte ich Abstand zu Dennis.“
Doch das ist nicht so einfach. Bei jedem Toilettengang, beim Baden, beim Umlagern
nachts, ja selbst beim Kaffeeanreichen während Falk jetzt im Homeoffice
arbeitet, lässt sich Körperkontakt nicht vermeiden. „Dann
trage ich einen Mundschutz“, sagt Margraf. Der sei zwar „nur“
selbst genäht – eine Spende an den Verein – gewährleiste
aber hoffentlich einen gewissen Schutz. „Das ist alles, was wir tun
können“, beteuert Nebe. Er mache sich große Sorgen. Erkranke
einer der Kunden mit schwerer Behinderung, sei das eine Katastrophe. „Die
können nicht einfach im Krankenhaus behandelt werden, weil sie so besondere
Bedürfnisse haben“, so Nebe. Bei manchen seien die Assistenten
bis zu acht Stunden täglich nur mit Körperpflege beschäftigt.
Dafür hätte das Pflegepersonal im Krankenhaus keine Zeit. Deswegen
könne er nur hoffen, dass sich kein Kunde ansteckt.
Auch Falk hat Angst, sich zu infizieren. Trotzdem freue er sich, dass sein
Assistent bislang nur einen Mundschutz trägt. „Wenn er hier vermummt
rumliefe, würde mir das auch Angst machen.“ Er wäre ständig
damit konfrontiert, schwer krank zu sein. Nein, er wolle ein möglichst
normales Leben führen, trotz Corona.
HNA, 07. April 2020