Ein Abend mit Tiefgang erlebten die Besucher*innen der Veranstaltung des Kasseler
Verein zur Förderung der Autonomie Behinderter (fab) am 21. November,
bei dem es um die Hürden bei unsichtbaren Behinderungen ging. Eingaladen
waren die InklusionsbotschafterInnen Alex Ernst und Thomas Künneke aus
Berlin. Vor allem die Erzählungen über die Erlebnisse in der Kindheit
und Jugend der ReferentInnen machte deutlich, wie diese das Leben prägen
können.
Eines stellte Thomas Künneke in seiner lebhaften Art gleich zu Anfang seines Berichtes über ein Leben mit psychischen Hindernissen klar: "Der Mörder ist nicht mehr der Gärtner", wie es früher immer so schön hieß. "Heute sind Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen die Mörder, so wird dies zumindest fast täglich in den Medien transportiert." Und da war Thomas Künneke auch schon mitten in seinen Ausführungen über die alltägliche Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Herausforderungen. Es werde vor allem auf oftmals schnell getroffene Diagnosen geschaut, die dann meist das Leben der Betroffenen prägen, anstatt auf den Menschen zu schauen. "Ich bin viel mehr als meine psychische Herausforderung", machte Thomas Künneke deutlich. Als Inklusionsbotschafter, aber vor allem auch als Mitbegründer des Vereins Kellerkinder, der einen Laden als Treffpunkt in Berlin hat und mittlerweile viele Projekte u.a. auch zur Erinnerung an die Verbrechen während des Nationalsozialismus durchführt, wird Thomas Künneke nicht müde, die Menschenrechtsperspektive in die Diskussion einzubringen. Das käme manchmal schräg, wenn man in einer Krise in einer Einrichtung lande, sei aber von zentraler Bedeutung. Denn ähnlich wie Menschen mit anderen Behinderungen, gehe es bei Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen ganz entscheidend darum, wie diese von der Gesellschaft geachtet werden und ob deren Menschenrechte sichergestellt werden. Thomas Künneke kündigte an, dass beim nächsten Sommercamp vom 3. bis 8. August 2020 wieder einige Vertreter*innen der Kellerkinder in Duderstadt mit dabei sein werden.
Alex Ernst wuchs als funktionale Analphabetin auf und musste Wege finden, sich mit diesem Handicap durch die Schulzeit und die Ausbildung zu navigieren. Ihre Schilderung, wie schwer dies zuweilen war und welche Strategien sie dabei entwickelt hat, um diese Einschränkung zu überspielen, war sehr bewegend. Dabei erlebte sie, ähnlich wie die ca. 6,2 Millionen in Deutschland lebenden funktionalen Analphabet*innen eine Vielzahl von Diskriminierungen und Herabwürdigungen. Dabei liebt Alex Ernst mittlerweile das Lesen und Schreiben, doch dies hat sie sich ganz mühsam selbst beigebracht. Ein Buch hat sie mittlerweile veröffentlicht und Schulungen bietet sie mittlerweile an, um aufzuklären, was es bedeutet, in dieser Gesellschaft nicht bzw. nur schlecht Lesen und Schreiben zu können. Vor allem geht es ihr darum, dass Menschen mit funktionalem Analphabetismus nicht diskriminiert werden. Deshalb hat sie auch die Leichte Sprache entdeckt und übersetzt heute hierzu Texte.
kobinet-nachrichten, 23. November 2019