Von Christina Hein
KASSEL. Schlechte Nachrichten für Familien mit seelisch behinderten Kindern: Am letzten Ferientag bekamen zehn von ihnen Post vom Kasseler Jugendamt mit der Information, dass die Schulassistenzen für ihre Kinder nicht mehr finanziert werden.
Eine betroffene Mutter ist Iris Freyer. Ihr achtjähriger Sohn Noah, der am Asperger-Syndrom, einer Form von Autismus, erkrankt ist, wird seit der ersten Klasse von einem Assistenten begleitet. Er hilft dem Kinde mit Aufmerksamkeitsproblemen beim Bewältigen des Schulunterrichts. „Das war ein Schock“, sagt Freyer: „Mein Sohn steht von einem auf den anderen Tag ohne Hilfe da und der Schulassistent ohne Arbeit.“ Die Alternative lautet: Förderschule. Die Freyers und andere Betroffene haben jetzt Widerspruch eingelegt.
Eine Überprüfung habe ergeben, dass zehn von 16 Kindern mit seelischer Behinderung keine Schulassistenz mehr benötigen, begründet der stellvertretende Leiter des Jugendamtes, Bernd Ziegler, die Entscheidung. Die Kinder hätten sich positiv entwickelt. Zwar bestehe ein Rechtsanspruch auf Schulassistenz, aber das Jugendamt habe das Recht, dies zu überprüfen.
„Die Kinder sind ja deshalb so gut in der Schule, weil ihnen geholfen wird“, sagt eine betroffene Assistentin, die nicht genannt werden möchte. „Es handelt sich bei autistischen Kindern um normal intelligente Schüler, die lediglich Hilfe zum Lernen benötigen“. Der Verein zur Förderung der Autonomie Behinderter, für den die Frau tätig ist, gehe jetzt in Vorleistung, damit die Assistenz für den von ihr betreuten Drittklässler fortgesetzt werden kann.
Zuletzt wurden vom Jugendamt 16 Schulassistenzen für seelisch behinderte und vom Sozialamt 63 Assistenzen für geistig und körperlich behinderte Kinder finanziert. Laut Ziegler rechnet das Jugendamt pro Kind mit wöchentlich 20 Stunden á 17 Euro Kosten. Das ergibt im Jahr 272 000 Euro.
ZUM TAGE
Verkehrt gespart
Christina Hein über sinnvolle Hilfe
Eltern von behinderten Kindern haben einen Rechtsanspruch auf Schulassistenz ihrer Kinder. Dem Jugendamt, das die Kosten für die Begleitung seelisch behinderter Kinder übernimmt, steht es zu, die Notwendigkeit zu überprüfen. Verbessern sich die Schulleistungen des Kindes und fällt ihm der Unterricht weniger schwer, kann die Assistenz beendet werden.
Da beißt sich die Katze allerdings in den Schwanz. Warum fallen denn jetzt die in erster Linie autistischen Kinder aus der Förderung? Weil es ihnen gelungen ist, den Unterricht zu meistern. An der Intelligenz oder am Willen dieser Kinder – da sind sich Experten einig – liegt es nicht, dass sie Schulprobleme haben.
Es sind die Assistenten, die ihnen helfen, die Probleme zu überwinden, sie dazu bringen, sich zu konzentrieren und in den Pausen Kontakte zu knüpfen. Fallen die Assistenzen weg, fallen auch die autistischen Kinder wieder zurück.
Man will nicht glauben, dass die Verantwortlichen im Jugendamt diesen Missstand, um Geld zu sparen, tatsächlich bezwecken.
HINTERGRUND
Schulassistenten in Regelschulen
„Für die Tätigkeit als Schulassistent wird keine besondere Qualifikation vorausgesetzt“, sagt Georg Riester, Abteilungsleiter Assistenzdienst beim Kasseler Verein zur Förderung der Autonomie Behinderter (fab). Neben dem Sozialen Friedensdienst und dem Lichtenau Verein Ambulante Dienste gehört auch fab zu den Leistungsanbietern von Schulassistenzen. Früher wurden die Schulassistenzen mit Zivildienst Leistenden abgedeckt. Bei der Betreuung von autistischen Kindern sei jedoch eine sozialpädagogische Ausbildung erwünscht und notwendig, sagt Riester. Die Aufgabe von Schulassistenten in Regelschulen reicht vom Windelwechseln bis zur Schreibhilfe. (chr)
Quelle: HNA vom 01.09.2009