Kassel. Dass das soziale Klima in Deutschland täglich
rauer wird, bekommen Menschen mit Behinderungen besonders zu spüren.
Bei dieser Personengruppe ist nicht nur der Arbeitslosigkeitsanteil besonders
hoch, sie sind auch auf Grund baulicher Defizite häufig vom öffentlichen
Leben ausgeschlossen. Seit fast zwanzig Jähren arbeitet der Verein zur
Förderung der Autonomie Behinderter fab e. V. daran, diesen Missständen
abzuhelfen und hilft Betroffenen dabei, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.
1987 fanden sich Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen, z.B. Rollstuhlfahrer,
Blinde oder Sprach- und Lernbehinderte zusammen, um als Experten in eigener
Sache zu fungieren und andere zu unterstützen und gründeten einen
Selbsthilfeverein. Immer noch sind die meisten Aktiven selbst behindert und
damit prädestiniert, andere zu beraten.
Das Haus Kölnische Straße 99, in dem der fab e.V. heute seinen
Sitz hat, ist deshalb in Sachen Barrierefreiheit vorbildlich. Eine Rampe ermöglicht
die bequeme Zufahrt per Rollstuhl, die Öffnungszeiten der Einrichtung
sind auch in Blindenschrift an der Eingangstür angebracht und im Fahrstuhl
sagt eine freundliche Stimme die Etagen an. „Wir möchten Behinderten
helfen, Schwellenangst abzubauen", sagt Vorstandsmitglied Birgit Schopmans.
Die sehbehinderte Sozialpädagogin will auch mit weit verbreiteten Klischees
aufräumen. Der Mensch, der an den Rollstuhl "gefesselt" ist,
taugt für sie allenfalls als Witzfigur für die hauseigene Behindertenzeitung
mit dem viel sagenden Titel "Aufstand der Betreuten".
Dass Behinderte in den letzten Jahren über 5000 Voll- und Teilzeitarbeitsplätze
geschaffen haben, dürfte in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt
sein. Rund 4, 5 Mio. Pflegestunden pro Jahr wurden bundesweit in Privathaushalten
geleistet. Viele behinderte Menschen wollen unabhängig von ambulanten
Pflegediensten und Sozialstationen sein, ihre Assistenten selbst aussuchen,
anleiten, Gehälter abrechnen und Dienstpläne gestalten. Der fab
e.V. hilft ihnen, die für sie am besten geeignete Form der Assistenz
zu finden und so ein Höchstmaß an Selbstbestimmung zu erreichen.
Ein besonderer Schwerpunkt der Vereinsarbeit ist die Unterstützung behinderter
Frauen, denn die sehen sich oft mit doppelter Diskriminierung konfrontiert.
Frauen mit Behinderungen werden, so die Informationsbroschüre des Vereins,
„nur mit ihren vermeintlichen Mängeln wahrgenommen. Nur selten
werden sie als interessante, tatkräftige und gleichberechtigte Freundinnen,
Kolleginnen oder Partnerinnen wahrgenommen". Dazu kommt, dass immer noch
viele Schulen, Arztpraxen oder Cafés nicht barrierefrei sind. Manche
möchten einfach nur mal aus der Wohnung kommen und treffen sich regelmäßig
zum gemeinsamen Frühstück in der Kölnischen Straße. Die
Angebotspalette des Vereins ist breit, kein Wunder, dass er bald an die Grenzen
seiner räumlichen Kapazität stieß. Seit er das ehemalige Café
Brückenschlag in der Friedrich-Ebert-Straße übernehmen konnte,
ist endlich mehr Platz für alle.
Information: fab e.V., Tel. 0561/ 728 85 0 oder www.fab-kassel.de
Quelle: extratipp vom 02.12.2006