Frankfurter Rundschau, 21.01.2005

Grafik: Presse Behinderte zeigen Kindern, wie das Leben mit Handicap ist

Kasseler Verein schickt kostenlos Referenten an Schulen / Projekt soll ein gleichberechtigtes Miteinander fördern

Unsicherheiten im Umgang mit behinderten Menschen abzubauen, ist das Ziel eines Projekts des Kasseler „Vereins zur Förderung der Autonomie Behinderter" (fab): Behinderte Referentinnen und Referenten werden kostenlos an Schulen vermittelt.
KASSEL - 20. JANUAR Guz „Wie machen Sie das, wenn Sie einkaufen gehen?", fragt Romina. „Wie merken Sie, wie spät es ist?", will Anika wissen. Heike interessiert, „wie man merkt, was man anzieht, wenn man doch nichts sehen kann". Und Valerie denkt darüber nach, „was man wohl für Farben sieht, wenn man blind ist". Die Fragen der Drittklässler der Ernst-Leinius-Schule, einer Grundschule im Kasseler Stadtteil Harleshausen, reißen nicht ab. Doch Birgit Riester beantwortet jede einzelne. Geduldig erzählt sie, dass sie entweder in Geschäfte geht, die sie gut kennt oder dass einer ihrer drei Söhne oder das Au-Pair-Mädchen sie zum Einkaufen begleiten.
Die 36-jährige Juristin, die im Alter von 15 Jahren aufgrund einer Netzhauterkrankung erblindete, führt den 22 Acht- bis Neunjährigen ihre „sprechende Uhr" vor, erklärt, dass sie ihre Kleidung am unterschiedlichen Stoff „erfühlt" - und dass sie keine Farben sieht: „Es ist immer dunkel." Wie sich das anfühlt, können die Kinder in der zweistündigen Unterrichtseinheit, die von Birgit Riester erarbeitet wurde, dann selbst probieren: Sie bekommen dunkle Brillen auf die Nase und führen sich gegenseitig über das Gelände der Schule. Deren Leiterin Almut Locker ist von dem Projekt des Vereins, in dessen Rahmen behinderte Referentinnen und Referenten kostenlos an Schulen vermittelt werden, um über ihren Alltag zu berichten, ebenso begeistert wie die Klassenlehrerin Helga Lange. „Als wir von dem Angebot erfahren haben, war es gar keine Frage, dass wir das ausprobieren“ sagt Almut Locker. Schließlich gebe es mehrere behinderte Kinder an der Schule.
Mit dem Projekt könne schon die Schule dazu beitragen, Ablehnung und Unsicherheiten im Umgang mit behinderten Menschen entgegenzuwirken und ein gleichberechtigtes Miteinander zu fördern. Genau das sei das Ziel, erklärt Projektleiterin Birgit Schopmans. Die 40-jährige Sozialarbeiterin ist beim fab für die Beratung Behinderter zuständig - und selbst blind. „Da behinderte Schüler eher vereinzelt in Regelschulen integriert sind, sind sie für viele etwas Exotisches. Und nicht selten zeigt sich offene Ablehnung gegenüber Menschen mit Behinderungen, zum Beispiel, wenn ein Schüler auf dem Schulhof mit ‚Du Spasti’ oder ‚Du bist wohl behindert’ beschimpft wird", sagt Schopmans.
Solche Äußerungen spiegelten latente Unwissenheit wider. Hier wolle das Projekt, das von der Aktion Mensch gefördert wird und nach Angaben der Initiatoren in dieser Art hessenweit einmalig ist, Abhilfe schaffen. Sechs bis acht Referentinnen und Referenten kann Schopmans inzwischen an Schulen vermitteln, darunter neben Birgit Riester eine Rollstuhlfahrerin, eine Frau mit einer Hörbehinderung und ein Mann mit Lernschwierigkeiten. Etliche Schulen in und um Kassel haben das Angebot schon genutzt und sogar ganze Projektwochen mit den Referenten gestaltet.

INTERESSIERTE LEHRER wenden sich an: fab, Birgit Schopmans, Telefon 0561 / 7 28 85-24.