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Grafik: Presse Mit dem Rollstuhl zum Abi

Nach einigen Hürden: Julia Pahl ist auf dem Weg zur Hochschulreife

Kassel/Wellerode. Julia Pahl fährt durch die Pausenhalle. Seit ihrer Kindheit sitzt sie im Rollstuhl. Sie hat eine Spastik und kann nicht gehen. Die Welleröderin ist die Einzige mit Behinderung unter den 2350 Schülern der Elisabeth- Knipping-Schule. Doch ihren Lebensmut hat die 17-Jährige nicht verloren. Im Gegenteil. Sie lacht viel und sagt ihrer Mutter, dass sie froh ist, die Mathearbeit, die sie gerade geschrieben hat, überstanden zu haben. Bis dahin war es ein beschwerlicher Weg.
Als sie ein Jahr alt war, starb ihr Vater bei einem Autounfall. Seitdem schlägt sie sich zusammen mit ihrer Mutter durchs Leben – vor allem durch das Schulleben.
„Der Ämterkampf war immer furchtbar“, sagt Silvia Pahl, ihre Mutter. Nach dem Willen der Behörden sollte ihre Tochter zunächst auf die Alexander-Schmorell-Schule gehen, eine Schule für Kinder mit Behinderungen. Silvia Pahl befürchtete jedoch, dass ihre Tochter dort nicht genügend gefördert werden würde. Sie legte Widerspruch ein.
Dann gab es Schwierigkeiten mit der Bewilligung einer Schulassistenz, die ihr beim Mitschreiben hilft und beim Gang auf die Toilette. Und auch mal den Stift aufhebt, wenn Julia ihn versehentlich fallen lässt. „Julia bräuchte eine Schulassistenz für 35 Stunden in der Woche“. Bewilligt sind nur 31 Stunden. Sie hat oft gedacht, sie schafft es nicht. Sie hat durchgehalten. Die Anstrengungen haben sich gelohnt. Julia ist jetzt in der elften Klasse und will ihr Fachabitur machen.
„Mir gefällt es hier sehr gut“, sagt die Schülerin und lächelt wieder. Die Räume seien behindertengerecht eingerichtet und die Atmosphäre sei sehr gut. „Alle sind sehr lieb, freundliche und hilfsbereit“. Das war auf anderen Schulen, die sie vorher besucht hat, nicht immer so. Während der Schulzeit betreut Simone Schmitt die Rollstuhlfahrerin. „Sie ist wie jedes andere Mädchen. Hat auch Bammel vor jeder Klausur“, sagt die 28-jährige Schulassistentin. Probleme gebe es in schulischer Hinsicht keine. „Ich sehe mich lediglich als Hilfestellung“.
Für sie ist es ein Nebenjob. Eigentlich ist Simone Schmitt gelernte Goldschmiedin und zurzeit studiert sie Produktdesign an der Kunsthochschule. Zwei- bis dreimal in der Woche assistiert sie Julia in der Schule. Die restlichen Tage übernimmt ihre Kollegin.
Die Anstrengungen haben sich für Mutter und Tochter gelohnt. Silvia Pahl: „Ich bin so stolz auf meine Tochter“. Die will nach dem Abi nämlich studieren. Nur was, das weiß sie noch nicht so genau. Eins weiß Tochter Julia aber ganz sicher: „Auf keinen Fall Mathe“, sagt sie und lacht. So gut war die Prüfung dann doch nicht.

Hintergrund
Schulassistenz
Julia habe im pädagogischen Bereich keine Hilfe nötigt, sagt Georg Riester, Abteilungsleiter des Assistenzdienstes beim Verein zur Förderung der Autonomie Behinderter – kurz Fab. Auf dessen Vermittlung hat Julia ihre Schulassistentin bekommen und kann jetzt so ihr Abitur machen. Riester betrachtet die Zusammenarbeit zwischen der Schule und Julia als „ein positives Beispiel“. Lehrer und Schulleitung seien sehr offen und entgegenkommend. Eine Schulassistenz wird im Rahmen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen gewährt, um einen angemessenen Schulbesuch sicherzustellen. Ein Antrag auf eine Eingliederungshilfe wird beim Sozialhilfeträger, also bei der Stadt oder beim Landkreis, gestellt. Beim Fab gibt es vier Schulassistenten.

Information: Fab, Georg Riester

Quelle: HNA, 23.12.2005