Julia Pahl hat trotz ihrer Behinderung ihre Hochschulreife erlangt
– mit ein bisschen Hilfe
Von Yvonne Albrecht
KASSEL. „Man muss schon selbstbewusst sein als behinderter
Mensch“, sagt Julia Pahl. Die 20-Jährige sitzt im Rollstuhl, sie
hat eine spastische Hemiparese (Halbseitenlähmung). Die Behinderung hat
sie von Geburt an. Immer wieder hat sie Verkrampfungen in der rechten Körperhälfte.
Wenn sie aufgeregt ist, kann es passieren, dass sie keine Luft bekommt. Trotz
dieser Probleme hat Julia Pahl nun ihr Abitur an der Elisabeth-Knipping-Schule
gemacht.
Nicht ganz allein, ein bisschen Unterstützung hat sie schon gebraucht.
Schulassistentin Silke Schröder begleitet Julia Pahl seit rund zwei Jahren.
„Ich habe für sie im Unterricht mitgeschrieben und ihr bei alltäglichen
Dingen geholfen“, sagt die gelernte Sekretärin, die über den
Verein zur Förderung der Autonomie Behinderter (Fab) nun als Schulassistentin
arbeitet.
Schwierig für Julia sei insbesondere das Schreiben gewesen. Bei Klausuren
hätten die Abiturientin und ihre Assistentin einen eigenen Raum bekommen.
Die Schülerin hat Silke Schröder den Text diktiert. Anfangs seien
manche Mitschüler schon skeptisch gewesen, ob Julia Pahl diese Arbeiten
denn auch tatsächlich allein schreibe. Irgendwann sei es dann aber ganz
normal gewesen.
„Ich habe ihre Hände ersetzt, nicht ihren Kopf“, sagt Silke
Schröder. Sie selbst habe die Arbeit mit der 20-Jährigen als bereichernd
empfunden. „Es ist schon wichtig, dass die beiden sich gut verstehen“,
sagt Anita Grießer von Fab, der die Schulassistenz organisiert hat.
Im Vordergrund steht bei der Arbeit des Vereis das selbstbestimmte Handeln
des behinderten Menschen. „Man sollte sich durchsetzen können und
die eigenen Rechte kennen“, sagt Julia Pahl. Wirkliche Probleme habe
sie jedoch nie gehabt. Ihre Lehrer und Mitschüler hätten sie unterstützt.
Sie selbst habe immer deutlich gezeigt, dass sie etwas im Köpfchen habe.
Mit ihrer Geschichte möchte sie anderen Behinderten Mut machen, sich
etwas zuzutrauen. Für die Zukunft hat die junge Frau schon große
Pläne: Sie möchte Psychologie studieren in Berlin, Köln oder
Mannheim. Angst davor hat sie keine. Sie freut sich auf ein Stück mehr
Unabhängigkeit.
Text zum Foto:
Hier geht es um´s Köpfchen: Julia Pahl diktiert ihrer Schulassistentin
Silke Schröder einen Text, während Anita Grießer vom Verein
zur Förderung der Autonomie Behinderter zuschaut.
Stichwort
Spastische Hemiparese
Die Hemiparese bezeichnet die unvollständige Lähmung einer Körperseite
(Halbseitenlähmung). Der Begriff Spastik bezeichnet eine erhöhte
Eigenspannung der Skelettmuskulatur. Spastische Lähmungen haben ihre
Ursache in einer Schädigung der für die Bewegung zuständigen
Teile im zentralen Nervensystem. Tritt eine Lähmung schon im Säuglingsalter
auf, besteht wegen der fehlenden Bewegungsmöglichkeiten die Gefahr, dass
lebenswichtige Reize nicht aufgenommen werden können. Betroffene haben
oft Probleme mit der Augen-Hand-Koordination und dem Zusammenführen beider
Hände. (alb)
Hintergrund
Selbstbestimmtes Leben
Der Verein zur Förderung der Autonomie Behinderter unterstützt behinderte
Menschen darin, ihr Leben selbstbestimmt den eigenen Wünschen und Bedürfnissen
entsprechend zu gestalten.
Der Verein berät, organisiert Assistenzen in der Schule, bei der Arbeit
sowie im persönlichen Bereich und ermöglicht betreutes Wohnen von
Behinderten. Die Beratungen sind kostenlos. (alb)
Weitere Informationen unter www.fab-kassel.de oder Tel. 05 61 / 728
85 35.
Quelle: HNA vom 26.07.2008