Kritik an zu wenige behindertengerechten Hotels
Von Ulrike Pflüger-Scherb
Kassel. Weil er eine private Feier während der documenta veranstalten
will, zu der er mehrere Rollstuhlfahrer eingeladen hat, recherchierte der
Kasseler Stadtverordnete Harry Völler, in welchen Hotels er seine Freunde
unterbringen kann. „Das Ergebnis ist ernüchternd“, sagt Völler.
Er habe nur fünf Häuser gefunden, die behindertengerechte Zimmer
nach DIN-Norm anbieten. Dass es zu wenige behindertengerechte Zimmer in Hotels
gebe, sei kein Kasseler, sondern ein bundesweites Phänomen, sagt Annerose
Hintzke vom Institut für barrierefreie Gestaltung und Mobilität
in Mainz. „Das ist ein ganz gravierendes Problem, das angesichts der
demografischen Entwicklung in Deutschland völlig unverständlich
ist.“
Nach Angaben von Hubert Henselmann, Bereichsleiter Tourismus bei Kassel Marketing,
bieten die großen Hotels in der Regel behindertengerechte Zimmer an.
Er geht davon aus, dass es in Kassel insgesamt zehn bis zwölf behindertengerechte
Zimmer gibt. „Wir verlassen uns dabei auf die Selbstauskunft der Hotels“,
sagt Henselmann. Kassel Marketing hat eine Auflistung mit Hotels, die das
Symbol „Bedingt behindertengerecht“ haben. Es nütze einem
Rollstuhlfahrer zum Beispiel nicht, wenn das Zimmer barrierefrei, aber der
Lift zu eng ist. Einzelgäste im Rollstuhl bekomme man in Kassel gut unter,
sagt Henselmann, bei Gruppenreisen werde es schon schwieriger.
Im Pentahotel an der Bertha- von- Suttner- Strasse gibt es nach Auskunft von
Manager Daniel Pahl drei behindertengerechte Zimmer, die der DIN-Norm entsprächen.
Das bedeute, dass die Räume einen breiten Eingang haben, die Zimmer barrierefrei,
die Duschen befahrbar und die Fahrstühle ausreichend groß seien.
Diese Zimmer, die zum gleichen Preis wie normale gebucht werden können,
seinen sehr nachgefragt, sagt Pahl. Zur documenta, im Juni bis September,
seinen speziell diese Zimmer so gut wie ausgebucht. Nicht nur Rollstuhlfahrer
verlangten danach. Pahl erzählt von einem Stammgast mit einer künstlichen
Hüfte, der nur diese Zimmer buche.
Nach Auskunft von Anna Homm von der Kasseler Geschäftsstelle des Hotel-
und Gaststättenverbandes Dehoga Hessen gibt es keine gesetzliche Vorgabe
für Hoteliers, behindertengerechte Zimmer anzubieten. Auch wenn es nur
wenige Hotels mit diesem Angebot gebe, so seinen drei Viertel aller Häuser
zumindest „behindertenfreundlich“ (siehe Hintergrund).
Gehobenes Preisniveau
Die Hotels mit behindertengerechtem Angebot hätten in der Regel ein gehobenes
Preisniveau, sagt Uwe Frevert vom Kasseler Verein zur Förderung der Autonomie
Behinderter (fab). „Leute von uns gehen deshalb gern in die Kasseler
Jugendherberge, die ein berollbares Duschzimmer hat.“ Aber es fehlten
nicht nur Hotelzimmer, sondern auch Tagungsräume für Rollstuhlfahrer.
Bei Tagungen nütze es nämlich nichts, wenn nur eine behindertengerechte
Toilette vorhanden sei, sagt Frevert.
Kassel Marketing stellt eine Auflistung zur Verfügung, mit Hotels in
Kassel, die „bedingt behindertengerecht“ sind. Die Auflistung
finden sie im Internet unter http://zu.hna.de/hna8877
Hintergrund
Behindertengerecht ist ein „schwammiger Begriff“
Im Jahr 2005 haben sich der deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga
Bundesverband) und der Hotelverband Deutschland (IHA) mit Sozial- und Behindertenverbänden
auf Standards der Barrierefreiheit für Hotellerie und Gastronomie geeinigt.
Demnach müssen zum Beispiel alle Türen zu Zimmern, die für
gehbehinderte Gäste nutzbar sein sollen, eine lichte Durchgangsbreite
von mindestens 80 Zentimetern haben. Flure müssen mindestens 1,20 Meter
breit sein. Als Hilfsmittel für Rollstuhlfahrer müssen vorhanden
sein: unterfahrbare Waschbecken, befahrbare Dusche, Duschsitz, stabile Haltegriffe
an Dusche und WC. Ferner werden folgende Hilfsmittel empfohlen: Kippspiegel
im Bad/WC, behindertengerechte (erhöhte) Betten sowie Kleiderschränke
und Schränke mit Schiebetüren.
Begriffe wie „behindertenfreundlich“ oder „bedingt behindertengerecht“
seien hingegen „oft schwammig“, sagt Birgit Schopmans vom Kasseler
Verein zur Förderung der Autonomie Behinderter (fab). Unter „behindertenfreundlich“
könne man zum Beispiel verstehen, dass Menschen mit Behinderung in einem
Hotel nicht unerwünscht seien. Bedingt rollstuhlgeeignet sind Betriebe,
welche die Kriterien der erforderlichen DIN-Normen nur teilweise erfüllen,
allerdings mit Mindestanforderungen wie zum Beispiel einem stufenlosen Eingang
oder mit Rampe. Wenn der Freiraum im Bad/WC oder die Türbreite unterschritten
werden, erfolgt in der Regel die Bewertung „Bedingt geeignet für
Rollstuhlfahrer mit Begleitung“. Dies bedeutet, dass Rollstuhlfahrer
ohne Hilfe nicht zurechtkommen, unter Umständen einige Räume, wie
Bad oder Küche mit dem Rollstuhl nicht befahrbar sind.
Weitere Informationen zu den Standards für Barrierefreiheit unter www.institut-bgm.de
Quelle: HNA 27.01.2012