30 Jahre Lobbyarbeit für behinderte Frauen in
Hessen
Kassel (kobinet) Aus Anlass des 30-jährigen Bestehens des Hessischen
Koordinationsbüros für behinderte Frauen (heute: für Frauen
mit Behinderung) sprach Dr. Gisela Hermes mit der Mitbegründerin und
ersten Leiterin des Projektes, Birgit Schopmans. Lesen Sie die Antworten auf
die drei Fragen im folgenden kobinet-Interview:
Dr. Gisela Hermes: Das Hessische Koordinationsbüro für
behinderte Frauen (HKbF) feiert in diesem Jahr den 30.ten Geburtstag –
ein Grund auf die Anfänge zurück zu blicken. Du warst Mitbegründerin
und die erste Leiterin des HKbF und hattest somit maßgeblichen Einfluss
auf die Entwicklung der bundesweit ersten Anlaufstelle für behinderte
Frauen. Wie kam es überhaupt zu diesem Projekt?
Birgit Schopmans: Seit den 1980er Jahren haben sich behinderte
Frauen bundesweit und auch in verschiedenen Bundesländern in Netzwerken
organisiert, so auch in Hessen. Grund dafür waren und sind auch heute
noch die zahlreichen Diskriminierungen, auf die behinderte Frauen in der Ausbildung,
im Arbeitsleben und generell im Alltag stoßen. Wir wollten uns das nicht
länger gefallen lassen, wollten auf unsere Lebenssituation aufmerksam
machen und politisch Einfluss nehmen, um behindernde Strukturen zu verändern.
In Hessen stießen wir behinderten Netzwerkfrauen jedoch schnell an unsere
Grenzen, da wir nur ehrenamtlich arbeiteten. Zum Glück war das Hessische
Sozialministerium nach einiger Überzeugungsarbeit dazu bereit, unter
dem Dach des Kasseler Vereins zur Förderung der Autonomie Behinderter
(fab) ein mehrjähriges Modellprojekt, die bundesweit erste hauptamtliche
Organisation zur Interessensvertretung behinderter Frauen, zu finanzieren.
Ich erhielt die hauptamtliche Stelle und konnte am 1. Mai 1993 in den Räumen
des fab durchstarten. Diese Arbeit habe ich sieben Jahre lang gemacht. Für
mich war das eine tolle Chance, viele inhaltliche Weichen zu stellen.
Dr. Gisela Hermes: Was genau waren damals die Aufgaben bzw.
Ziele des HKbF?
Birgit Schopmans: Grob genommen ging es um zwei Punkte: um
politische Veränderung durch Lobbyarbeit und um persönliches Empowerment
behinderter Frauen. Der hessische Zusammenschluss behinderter Frauen war für
mich eine wichtige Basis zur Entwicklung von Strategien und Angeboten. Zentrale
Themen waren zum Beispiel sexualisierte Gewalt – jede zweite behinderte
Frau erlebt im Laufe ihres Lebens einen sexuellen Übergriff -, die Benachteiligungen
auf dem Arbeitsmarkt, Diskriminierungen als Mütter und auch der oft mangelhafte
Zugang zu Gesundheitsangeboten. Durch das HKbF wurden mir die Türen zu
verschiedenen Frauen- und behindertenpolitischen Gremien geöffnet, die
uns behinderten Frauen vorher nicht offenstanden und ich konnte dort unsere
Belange und Forderungen einbringen.
Von Beginn an war mir das Empowerment wichtig, deshalb trug ich wichtige Informationen
für behinderte Frauen zusammen, veröffentlichte diese und beriet
viele betroffene Frauen persönlich. Die damaligen Ziele und Aufgaben
sind bis heute weitgehend gleichgeblieben und es ist nach wie vor ein langer
und auch mühsamer Weg, umfangreiche Verbesserungen für behinderte
Frauen zu erreichen.
Dr. Gisela Hermes: Was wünscht du dir für die Zukunft
des Hessischen Koordinationsbüros für Frauen mit Behinderung?
Birgit Schopmans: Ich wünsche mir, dass es dem Koordinationsbüro
gelingt, langfristig wieder viele Frauen mit verschiedenen Behinderungen zu
aktivieren, um auf Hessenebene als starke Kraft für unsere gleichberechtigte
Teilhabe wahrgenommen zu werden.
Quelle: kobinet-nachrichten, 01.09.2023