Grünphase per App: Hilfe für blinde Personen
jetzt auch an Ampeln in Kassel
Sehbeeinträchtigte und blinde Personen haben jetzt noch eine
neue Hilfsmöglichkeit an Ampeln. Mit einer App auf dem Smartphone erkennt
der Ampelmast, wenn man sich nähert und piept
Kassel – Was für viele Menschen ganz selbstverständlich zum
Alltag gehört, stellt vor allem blinde und sehbeeinträchtigte Personen
vor eine echte Herausforderung: das Überqueren einer Straße an
einer Ampel. Dabei erhalten sie auch in Kassel Unterstützung von der
App „RTB loc.id“, mit deren Hilfe sie die Straße queren
können, ohne den Ampelmast finden zu müssen.
„Sobald sich eine Person mit der App auf dem Handy der Ampel nähert,
erkennt die Anlage das“, sagt Thorsten Miltner, Leiter der Abteilung
Verkehrsmanagement beim Straßenverkehrs- und Tiefbauamt.
Das Piepen der Ampel – auch Orientierungssignal genannt – wird
dann automatisch angehoben, sodass der Mast leicht zu finden ist. Sobald die
Person vor der Ampel stehen bleibt, wird die individuelle Grünanforderung
gestartet.
Die Verbindung zwischen Handy und Ampel entsteht per Bluetooth, über
das das Handy geortet wird. In Kassel können aktuell 25 der rund 220
Ampelanlagen im ganzen Stadtgebiet mit der App angesteuert werden, darunter
unter anderem die Anlagen rund um den Hauptbahnhof und den Bahnhof Wilhelmshöhe
sowie die Anlage am Steinweg auf Höhe des Staatstheaters.
„Als wir die Ampeln am Kulturbahnhof vor ungefähr eineinhalb Jahren
erneuert haben, wurden die neuen Anlagen direkt mit der Bluetooth-Funktion
ausgestattet“, sagt Miltner. Jede neue Anlage, die nun verbaut wird,
werde mit der neuen Technik ausgestattet. „Die neuen Ampeln werden sukzessive
installiert“, sagt Miltner.
Für die App-Nutzung muss am Handy die Bluetooth-Funktion aktiviert sein.
„Die App ist kostenfrei und kann von jedem genutzt werden“, sagt
Silke Meelker vom App-Entwickler RTB. Wie gut die App funktioniert, hängt
jedoch vom Handy ab: Bei Android-Handys erkennt die App zwar, wenn sich das
Handy in der Nähe einer Ampel befindet.
Die Grünphase wird also angefordert. Allerdings erhält die Person
nur bei Apple-Geräten ein Signal in Form einer Vibration oder eines Tons
auf das Handy. „Die meisten Menschen mit Sehbeeinträchtigung nutzen
Apple“, sagt Meelker. Trotzdem solle die Funktion auch für Android-Geräte
angepasst werden.
Doch die App sieht Miltner lediglich als „zusätzliches Angebot“
vor allem für blinde und sehbeeinträchtigte Personen. Unabhängig
davon seien in Kassel „flächendeckend Blindensignale an Ampeln
vorhanden“.
Dazu zählten unter anderem die Taster, akustische Signale sowie Blindenleitsysteme.
Zwei blinde Frauen testen die App für die HNA
Wie kommt die App bei blinden und sehbeeinträchtigten Personen an? Birgit
Schopmans und Petra Willich, zwei in Kassel lebende erblindete Frauen, haben
für die HNA den Test an der Ampelanlage am Kulturbahnhof gemacht. Als
sich die beiden Frauen auf die Ampel zubewegen, wird das akustische Signal
hörbar lauter. Beide Handys vibrieren zudem.
„Wir haben beide ein Apple-Handy, ob es mit einem Android-Gerät
gehen würde, können wir jetzt nicht beurteilen“, sagt Willich,
die sich im Verein „Selbstbestimmt leben in Nordhessen“ (Slin)
engagiert. Sie kenne jedoch keinen blinden Menschen, der kein Apple nutzt.
„Da die Geräte aus Amerika sind und es da strenge Richtlinien zur
Barrierefreiheit gibt, sind die für uns besser zu bedienen“, sagt
Willich.
Wünschenswert wäre noch eine Liste mit allen Ampeln, die mit der
Bluetooth-Funktion ausgestattet sind, findet Willich. Dann könnte man
sich im Vorfeld schon informieren, an welcher Anlage man sich gar nicht mehr
auf die Suche nach dem Mast machen muss. „Es ist auf jeden Fall ein
entspannteres Überqueren der Straße mit der App, wenn man den Ampelmast
nicht finden muss“, resümiert Schopmans vom Verein zur Förderung
der Autonomie Behinderter.
Aber für sie steht fest, dass die App nur ein Zusatzangebot neben den
analogen Blindensignalen sein darf. „Nicht jeder blinde Mensch kann
oder möchte die App nutzen.“
Quelle: HNA, 10.10.2023