Frankfurter Rundschau vom 26. September 1997, Seite 24
Von Gundula Zeitz
Der "Verein zur Förderung der Autonomie Behinderter" (fab e.V.) feiert seinen zehnten Geburtstag. Der gemeinnützige Verein, der eine Alternative zur traditionellen Behindertenarbeit bieten will, hat in den vergangenen Jahren eine Beratungsstelle mit Modellcharakter aufgebaut, die bundesweit Beachtung findet.
KASSEL. Mit einer kleinen Selbsthilfegruppe fing alles an. Einmal wöchentlich trafen sie sich, um Erfahrungen auszutauschen. Menschen mit ganz unterschiedlichen Behinderungen, die einiges verband: Benachteiligung hatten sie alle erlebt - und Bevormundung. Sie wollten kämpfen - für ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und gegen Diskriminierung. Sie gründeten den "Verein zur Förderung der Autonomie Behinderter" (fab).
Das war 1987. Damals engagierten sich die Vereinsmitglieder noch ehrenamtlich - inzwischen beschäftigt fab mehr als hundert Teil- und Vollzeitkräfte, von denen viele selbst behindert sind. Sie haben ein dichtes Netz von Beratungs- und Unterstützungsangeboten aufgebaut, das behinderten und auf Hilfe ange-wiesenen Menschen ein weitgehend selbständiges Leben außerhalb von stationären Einrichtungen ermöglichen will.
Zum Beispiel durch den "Ambulanten Hilfsdienst" (AHD) des Vereins. Der AHD beschäftigt 82 Assistenten. Bewußt spricht man bei fab von Assistenten, nicht von Pflegern. Der Dienstleistungsgedanke steht im Vordergrund: Die Assistenten werden nach den individuellen Wünschen ihrer Kunden eingesetzt. Stundenweise oder auch rund um die Uhr helfen sie bei der Körperpflege, beim Aufstehen und Zubettgehen, im Haushalt, beim Einkaufen oder auch bei Behördengängen. Oberstes Prinzip: Die behinderten Menschen können - anders als bei den meisten anderen ambulanten Hilfsdiensten - selbst entscheiden, welche Assistenten sie einsetzen wollen. Denn oft geht es um Unterstützung bei sehr intimen Dingen, "da muß die Chemie einfach stimmen", sagt fab-Mitarbeiter Klaus Reichenbach, "andere Hilfsdienste schicken den Behinderten aus organisatorischen Gründen oft ständig neue Leute, sie haben einfach keine Wahlmöglichkeit".
Der AHD des fab trägt sich selbst, denn die Kunden haben in der Regel Anspruch auf Mittel der Pflegeversicherung, der Krankenkassen, der örtlichen Sozialhilfeträger oder auch des Landeswohlfahrtsverbandes (LWV). Wer sich nicht auskennt, kann sich von fab-Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beraten lassen.
Beratung gibt es auch für diejenigen, die ihre persönlichen Assistenten unabhängig von fab, von anderen ambulanten Hilfsdiensten oder Sozialstationen selbst anstellen und anleiten, abrechnen und selbst die Dienstpläne gestalten möchten und als Arbeitgeber ihrer Assistenten fungieren wollen. "Das ermöglicht den Hilfebedürftigen noch mehr Eigenständigkeit und Flexibilität" sagt Reichenbach.
Kerngedanke der Beratungsarbeit des Vereins, die aus Mitteln des Landesprogramms "Offene Hilfen zur Eingliederung von Menschen mit Behinderungen" und des LWV finanziert wird, ist die Hilfe zur Selbsthilfe. Das Angebot richtet sich nicht nur an Betroffene, sondern auch an Eltern und Angehörige, es gibt Einzelberatung und Gesprächsgruppen, "Selbstbehauptungsgruppen" und Unterstützung für diejenigen, die etwa aus einem Heim in eine Wohnung umziehen möchten.
Zwei Projekte des fab richten sich speziell an Frauen: Eine behinderte Sozialarbeiterin leitet das "Hessische Koordinationsbüro für behinderte Frauen"; sie organisiert Beratung für die landesweit rund 300.000 betroffenen Frauen und unterstützt den Aufbau von Selbsthilfegruppen. Unter anderem, versteht sich. Und im Rahmen des Projekts "Yentl" bieten zwei rollstuhlfahrende Sozialarbeiterinnen Unterstützung für behinderte Frauen auf dem Land: Sie suchen die Betroffenen auf und beraten sie vor allem in Fragen der Berufstätigkeit, über Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen.
Doch das ist längst noch nicht alles: fab engagiert sich auch politisch, beteiligt sich etwa am Aufbau eines Landesbehindertenrates und setzt sich für ein Hessisches Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsgesetz ein. Und der Verein plant, eigene Betriebe aufzubauen, um Ausbil- dungs- und Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen zu schaffen.
So ist das Büro in der Kasseler Jordanstraße, das sich fab mit der "Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben Deutschland e.V.", dem "Bildungs- und Foschungsinstitut zum selbstbestimmten Leben Behinderter" und mit der Kasseler "Zeitbörse" teilt, schon wieder zu klein. Also stehen auch neue Räume auf der Wunschliste für die nächsten Jahre.