HNA 27.09.97

Grafik: Presse FAB
Emanzipation hat Priorität

Seit zehn Jahren engagiert sich der Verein zur Förderung der Autonomie Behinderter (fab) für die Selbstbestimmungsrechte der Behinderten.
KASSEL* Was vor zehn Jahren als kleine Selbsthilfegruppe begann, hat sich mittlerweile zu "einer Art mittelständischem Unternehmen mit über 100


VON HEIDI CZAPEK

Mitarbeitern" gemausert. Stolz klingt aus den Worten von Ottmar Miles-Paul, wenn er über die Geschichte des Kasseler Vereins zur Förderung der Autonornie Behinderter (fab) spricht. Miles-Paul war vor zehn Jahren mit von der Partie, als Behinderte sich anschickten, ein spezielles Beratungs- und Unterstützungsangebot außerhalb der etablierten Institutionen aufzubauen. Ein neues Bild des Behinderten stand hinter der Kasseler Initiative: Selbstbestimmung, Wahlmöglichkeit, unbequem werden statt Bevormundung einerseits und Opferrolle andererseits. Vernetzung der verschiedenen Behinderungen und Hilfsangebote statt Einzelkämpfertum, selbst zum Experten werden anstatt sich auf das Wissen der Nichtbehinderten verlassen.

Für fab bedeutet dies heute zum Beispiel, daß im Schnitt zu etwa 90 Prozent Behinderte für Behinderte arbeiten. Eine Ausnahme macht der Ambulante Hilfsdienst (AHD), der das erste fab-Projekt war: Die rund 100 Assistenten des AHD sind in der Mehrzahl nicht behindert und werden - im Unterschied zu vielen anderen ambulanten Hilfsdiensten - nur mit Zustimmung des Kunden angestellt.

Erste Zuschüsse

1993 erhielt fab erstmals Zuschüsse aus dem neuen Landes-Förderprogramm "Offene Hilfen zur Eingliederung von Menschen mit Behinderungen". Das ist ein Programm zur Beratung der Betroffenen, deren Eltern und Angehörigen mit Einzelberatung und Gesprächsgruppen, Selbstbehauptungsgruppen, Vorträgen und Diskussions-abenden. Im gleichen Jahr entstand das Projekt "Unterstütztes Wohnen für Körper- und Sinnesbehinderte". Dieses Angebot richtet sich an Behinderte, die in eine eigene Wohnung gezogen sind und Unterstützung brauchen, um mit der neuen Situation zurecht zu kommen. Ebenfalls 1993 nahm das Hessische Koordinationsbüro für behinderte Frauen seine Arbeit auf, das die hessischen Selbshilfeinitiativen vernetzt und durch ein Archiv als Kontaktstelle für alle Fragen dient, die behinderte Frauen betreffen.

"Mobile Beratung zur Erwerbstätigkeit behinderter Frauen im Landkreis Kassel", kurz: Yentl, wurde 1995 aus der Taufe gehoben: Zwei Sozialarbei-terinnen bieten seitdem Unter-stützung für behinderte Frauen auf dem Land. Jüngstes Projekt ist Arbus, die "Ambulante Rehabilitation für Blinde und Sehbehinderte". Hier sollen Hilfen geboten werden, damit die Behinderten zu Hause und nicht in Einrichtungen wie der Blindenstudienanstalt in Marburg lernen, mit ihrem Handicap umzugehen.

Die Zeiten, in denen die Selbsthilfeorganisation der Behinderten kritisch beäugt wurden, sind vorbei. Die Arbeit des Vereins wird laut Miles-Paul nicht nur in Kassel, sondern bundesweit beachtet: "Kassel ist zu einem wichtigen Zentrum der Behindertenbewegung geworden." Miles-Paul verhehlt jedoch nicht, daß es ein "teils mühsamer" Weg war und noch ist. Denn die Projekte und die Mehrzahl der Arbeitsplätze hangeln sich von einem Bewilligungsbescheid zum nächsten. Besonders unsicher: das Koordinierungsbüro für Frauen: Die Landesfinanzierung läuft zum Jahresende aus.

Etat von 2,5 Mio

Fab arbeitet pro Jahr mit einem Etat von etwa 2,5 Millionen Mark, das meiste Geld fließt in den AHD. Der Topf wird gespeist aus der Pflegeversicherung und dem Kasseler Sozialamt, dem Landeswohlfahrtsverband, dem Land Hessen, der Arbeitsförderung und schließlich Spenden und Mitgliedsbeiträge, die zusammen aber nur 10 000 bis 15 000 Mark im Jahr ausmachen.

Vor dem Wunsch nach einer verläßlichen Finanzierung steht indes der Wunsch nach größeren Räumen - die Jordanstraße 5, das Zentrum für Selbst-bestimmtes Leben, ist mit zirka 320 Quadratmetern viel zu eng.