Grafik: Presse Für uns, 15.11.90

Auf vielfachen Wunsch von Kasseler Selbsthilfegruppen sowie hilfesuchender Betroffener startet die FUR UNS heute eine Serie, die in loser Folge verschiedene Selbsthilfegruppen vorstellt. In Zusammenarbeit mit der städtischen Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen (KISS) werden Zielsetzungen und Selbstverständnis der Gruppen dargestellt sowie Ansprechpartner genannt. Selbsthilfegruppen sind kleinere Gruppen von Menschen, die ein gleiches oder ähnliches Problem oder eine Krankheit haben. Sie treffen sich, um gemeinsam über ihre Erfahrungen im Umgang mit diesem Problem zu sprechen. Meist werden die Gruppen von Menschen gegründet, die sich in schwierigen Lebenslagen von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen. In den Selbsthilfegruppen setzen sich die Betroffenen für sich selbst ein, aktivieren Kräfte gerade für die Bereiche, in denen sie sich hilflos, abhängig und ausgeliefert fühlen. Deshalb sind diese Gruppen besonders für Menschen geeignet, die den Wunsch und den Mut haben, ihre oft leidvolle Isolation zu durchbrechen. Die Gewißheit, in der Gruppe Menschen zu treffen, die ähnliches erlebt oder durchgestanden haben, hilft, die Angstschwelle und das persönliche Leid zu überwinden. Und die Gruppe wird eher gehört als der Einzelne: Im Schutz der Selbsthilfegruppen können die Betroffenen wirksam an die Öffentlichkeit herantreten, um Verständnis für ihre Belange zu wecken.

1. Folge: Verein zur Förderung der Autonomie für Behinderte (fab)

Angebot der Helfer noch größer als Nachfrage der Betroffenen

Nach dem Motto "Behinderte wissen am besten, was anderen Behinderten fehlt" wurde vor drei Jahren der Verein zur Förderung der Autonomie für Behinderte, "fab", gegründet. Schwerpunkt der Arbeit ist dann auch die vielzitierte Hilfe zur Selbsthilfe - eine Bezeichnung, die hier sogar im Wortsinn zutrifft. Denn bei diesem Selbsthilfeverein geht es weniger darum, Behinderte soweit wie möglich zu betreuen, sondern Unterstützung bei den "ganz praktischen Handgriffen" des täglichen Lebens und Hilfestellung in bestimmten Krisenzeiten zu geben. Das sind auch die zwei wichtigsten Säulen der Vereinsarbeit: Ambulanter Hilfsdienst auf der einen, Beratung auf der anderen Seite. "Die Mitarbeiterkartei beim ambulanten Hilfsdienst ist bei uns schon größer als die Kundennachfrage", berichtet Vorstandsmitglied Gisela Hermes. Kunden - so werden im Verein bewußt die Behinderten genannt, die die Hilfe eines Mitarbeiters in Anspruch nehmen. Gisel Hermes: "Denn es geht uns nicht darum, an das soziale Engagement der lieben Mitbürger zu appellieren, uns Behinderten vielleicht mal über die Straße zu helfen." Im Gegenteil: Pflegerische Hilfen wie bei der Körperpflege, praktische Unterstützung im Haushalt und Einkauf oder Begleitung in Schule, Beruf und Freizeit werden hier als Dienstleistungen verstanden, die auch der investierten Zeit und dem Aufwand entsprechend entlohnt werden müssen.

Auch werden der Behinderte und sein stundenweise bezahlter Laienhelfer nicht einfach einander zugeteilt, sondern beide haben die Möglichkeit, sich aneinander zu gewöhnen - und wenn sie "gar nicht miteinander können", das Arbeitsverhältnis auch wieder aufzukündigen. Das sei jedoch eher die Ausnahme. Meistens entstehe zwischen den beiden mit der Zeit auch eine Atmosphäre des Vertrauens auf der Basis der Gleichberechtigung. Als zweites Schwerpunktangebot können Behinderte kostenlos die Beratung des "fab" nutzen. Behinderte Mitarbeiter, die aus eigener Erfahrung die Probleme und Hemmschwellen vieler Behinderter kennen, geben Rechtsberatungen, helfen bei Fragen der schulischen oder beruflichen Eingliederung, bei Wohnproblemen und vielen anderen Fragen des öffentlichen Lebens. Gisela Hermes: "Das Informationsbedürfnis über die eigenen Rechte ist gerade bei Behinderten sehr groß." Wobei der Umkehrschluß naheläge, daß hier auch das Informationsdefizit enorm sei, wie sie hinzufügt. Sowohl beim Ambulanten Hilfsdienst als auch bei der Beratung geht es den Mitarbeitern des "fab" daher vor allem darum, dem Behinderten ein selbstbestimmtes Leben in seiner gewohnten Umgebung zu ermöglichen.

Vereinstreffen finden vierzehntägig jeweils donnerstags in den Vereinsräumen Weinbergstraße 1 in Kassel statt. Weitere Informationen sind während der Bürozeiten (Montag bis Donnerstag von 9 bis 12.30 Uhr) unter 12 186 67 erhältlich. (fix)