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„Pochen auf unsere Rechte“

Kassel – „Wir sind davon weggekommen, immer nur zu bitten, jetzt pochen wir auf unsere Rechte und sagen: Das steht uns zu.“ Nach 30 Jahren Tätigkeit als Beraterin und Coach von behinderten Menschen zieht Birgit Schopmans eine positive Bilanz – wenngleich nach wie vor mit einem kämpferischen Unterton in der sanften Stimme. Die blinde Frau sagt: „Viele Menschen mit Behinderung gehen heute viel selbstbewusster durchs Leben als noch in den 1980er-Jahren.“ Es gebe viel mehr ambulante Angebote und persönliche Assistenzen, und viele behinderte Menschen hätten in Kassel ihren Weg gefunden, eigenständig zu leben.

Am 1. Januar 1992, an ihrem 27. Geburtstag, hatte Birgit Schopmans als sogenannte „Peer Counselorin“ in der Beratungsstelle von behinderten für behinderte Menschen beim Kasseler Verein zur Förderung der Autonomie Behinderter (fab) ihre Arbeit begonnen. Das war noch eine befristete „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme“.

Selbstbestimmung und Politisierung lagen der jungen Frau schon während ihres Sozialwesen-Studiums an der Gesamthochschule Kassel am Herzen. Bei ihrem Engagement in der Interessenvertretung behinderter Studierender spielte die gegenseitige Beratung und Unterstützung behinderter Menschen eine zentrale Rolle. Damals war es kaum üblich, dass behinderte Menschen auf behinderte Beraterinnen und Berater trafen. Ziel war eine Anpassung an die nicht behinderte Gesellschaft. Schulungen zu einem selbstbewussteren Umgang mit der Behinderung waren kaum bekannt.

All das wollte Birgit Schopmans in der Beratung von fab ändern – einem Verein, den sie 1987 mitgegründet hatte. Sie führte Gesprächsgruppen von behinderten für behinderte Menschen ein. Mit Rollenspielen und offenem Austausch konnten neue Wege beschritten werden.

In der Anfangszeit der Zentren für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen hangelten sich die Beschäftigten von einem Projekt zum anderen. So begann auch Birgit Schopmans ihren ersten Job: mit großen Idealen aber unklarer Perspektive.

Birgit Schopmans übernahm die Leitung des Hessischen Koordinationsbüros für behinderte Frauen, das bei fab angesiedelt war und maßgeblich von ihr geprägt wurde. Auch hier ging es neben der politischen Interessenvertretung um gegenseitige Unterstützung. Das Thema von Schopmans Diplom-Arbeit lautete: „Aspekte der Diskriminierung behinderter Frauen in der Bundesrepublik“. Nach der Geburt ihrer heute 24 Jahre alten Tochter zog es Schopmans wieder zurück in die fab-Informations- und Kontaktstelle. „Es geht grundsätzlich um zwei Punkte“, sagt Schopmans: „Um politische Veränderung und um persönliches Empowerment.“ Nicht zuletzt unter dem Aspekt der Selbststärkung sind ihr die Freizeitaktivitäten des Vereins wichtig. Denn die waren nicht immer selbstverständlich für behinderte Menschen.

Während der vergangenen 30 Jahre konnte Birgit Schopmans Hunderte von behinderten Menschen begleiten, die mit Assistenz und Unterstützung in ihrer eigenen Wohnung leben, am Leben in der Stadt teilnehmen und Jobs gefunden haben.

Die 57-Jährige, die aus dem Rheinland stammt und mit ihrem Mann in Kassel lebt, blickt zuversichtlich in die Zukunft. Mittlerweile gebe es viele Rollenvorbilder, die anderen behinderten Menschen zeigten, wie man trotz Einschränkungen selbstbestimmt leben kann.

Sie freut sich schon über die kleinen Schritte in der Politik, etwa als jetzt die Kasseler Stadtverordnetenversammlung nach einer Aktion von fab und anderen Organisationen beschlossen hat, die grauen und schlecht zu sehenden Poller an den Straßen farbkontrastiert zu gestalten: damit behinderte Menschen vom Alltag nicht ausgeschlossen, sondern inkludiert werden.

Kontakt: fab-kassel.de, , Telefon 05 61/72 88 50.

HNA, S.10, 12. Januar 2022