Kassel – Sein ganzes Leben lang setzt sich Ottmar Miles-Paul bereits für die selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderung ein. Jetzt wurde der Kasseler, der selbst von Geburt an sehbehindert ist, für sein bürgerliches Engagement mit dem Marburger Leuchtfeuer der Universitätsstadt Marburg und der Humanistischen Union ausgezeichnet.
„Angefangen hat eigentlich alles, als ich während meines Sozialwesen-Studiums an der Uni Kassel bemerkt habe, dass es dort unter anderem kein Angebot für Sehbehinderte in der Bibliothek gab“, erinnert sich Miles-Paul. Gemeinsam mit anderen Menschen mit Behinderung gründete er eine Interessensgemeinschaft an der Uni.
Schnell sei ihm klar geworden, dass es auch auf Stadtebene viel zu tun gibt. „Als ich zum Studium nach Kassel kam, gab es in der ganzen Stadt gerade mal zwei Blinden-Ampeln“, sagt der gebürtige Schwabe.
Im Jahr 1987 gründete er den Verein zur Förderung der Autonomie Behinderter (Fab). Dort werden Menschen mit Behinderung von Menschen mit Behinderung beraten und erhalten auf Wunsch Assistenz. „Unser Ziel war immer, das anzubieten, was Menschen mit Behinderung brauchen, um so am Leben teilnehmen zu können wie alle anderen auch“, sagt Miles-Paul, der gemeinsam mit seiner Ehefrau in Kassel lebt.
In den vergangenen Jahrzehnten habe sich in der Stadt bereits viel verbessert – auch durch Impulse des Fab, wie Miles-Paul betont. „Mittlerweile sind die Straßenbahnhaltestellen und die allermeisten Bahnen barrierefrei. Auch an der Uni hat sich viel getan.“ Aber: „Diese Entwicklungen sind nicht einfach vom Himmel gefallen, dafür haben wir hart gekämpft“, sagt Miles-Paul, der sieben Jahre lang für die Grünen Mitglied der Stadtverordnetenversammlung war.
Und es gebe immer noch Verbesserungspotenzial. So versuche der Fab derzeit, die Lautsprecherdurchsagen im Öffentlichen Personennahverkehr optimieren zu lassen. Außerdem fehlten nach wie vor barrierefreie Wohnungen. „Wenn man als Rollstuhlfahrer in ein Restaurant oder eine Kneipe will, sind die Möglichkeiten immer noch begrenzt“, sagt Miles-Paul. Stufen, zu enge Türen und keine barrierefreien Toiletten stellten Rollstuhlfahrer immer wieder vor Herausforderungen.
„Da müssen auch die privaten Anbieter in die Pflicht genommen werden“, findet Miles-Paul. Dabei gehe es nicht darum, diese durch aufwendige Umbaumaßnahmen in den Ruin zu treiben, sondern vielmehr, sie dazu zu bringen, sich Gedanken um die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung zu machen. „Zwei nebeneinanderliegende Restaurants, von denen nur eines über eine barrierefreie Toilette verfügt, könnten sich doch zusammentun, um Gästen mit Behinderung beider Restaurants eine barrierefreie Toilette bieten zu können.“
Er sei ein Fan von praktischen und einfachen Ideen: „Ich bin ein sehr pragmatischer Mensch. Wenn mir jemand von einem Problem berichtet, überlege ich schon währenddessen, wie man es lösen kann. Das Leben ist schließlich kurz“, findet der 60-Jährige, der sich auch auf Bundesebene engagiert: So ist er in diversen Beiräten tätig, beteiligte sich auch an einem Projekt zur Umsetzung und Weiterentwicklung des Bundesteilhabegesetzes.
„Oft hört man anfangs erst mal, dass etwas nicht klappen wird, anstatt gemeinsam zu schauen, wie man eine mögliche Lösung findet. Das Jammern ist typisch für Deutschland, und die Kasseler sind im Mähren auch nicht schlecht“, sagt Miles-Paul, der während des Studiums 15 Monate in den USA lebte. „Von dieser Zeit zehre ich noch heute.“ Dort habe schon damals die Haltung gegolten, dass Menschen mit Behinderung eine Teilnahme ermöglicht werden solle.
„Das fängt damit an, dass ein sehbehinderter Mensch dort die Speisekarte in Großschrift erhält oder vorgelesen bekommt“, sagt Miles-Paul, der fünf Jahre als Behindertenbeauftragter des Landes Rheinland-Pfalz in Mainz tätig war. Seit seiner Rückkehr nach Kassel engagiert er sich weiterhin im Fab. „Aber mit angezogener Handbremse. Jetzt ist die Zeit für die neue Generation gekommen“, sagt Miles-Paul.
Quellenangabe: Hessische Allgemeine (Kassel-Mitte) vom 08.08.2024, Seite 6